Bild und Text von ICC-Redakteur Christoph Yew
Das moderne Improvisationstheater (Improv) entstand in der Mitte des letzten Jahrhunderts in den USA und wurde maßgeblich von Theatergruppen aus dem Raum Chicago konzipiert und geprägt. Mittlerweile findet es auch immer mehr Anhänger in China. Christoph Yew war in Peking drei Jahre lang aktives Mitglied des Beijinger Improvisationstheaters und ist Gründer des Changsha-Improvisationstheaters. Im Folgenden gibt er einen Überblick der Szene.
Wie aus dem Namen ersichtlich, handelt es bei Improv um eine Theaterform, bei der die Szenen und Geschichten aus dem Stand heraus improvisiert und entwickelt werden. Zu Beginn einer Szene werden vom Publikum eine oder mehrere Vorgaben erbeten. Dies kann beispielsweise in folgender Form geschehen: “An welchem Ort soll die folgende Szene stattfinden?” “Was hatten Sie heute zum Frühstück?” “Welchen Beruf übe ich aus?” “Bitte geben Sie uns den Titel eines Filmes der noch nie gedreht wurde.”
Nachdem das Publikum mehrere Vorschläge genannt hat, wählen die Darsteller aus diesen eine aus und die Szene beginnt. Im weiteren Verlauf kann es vorkommen, dass während der Aufführung weitere neue Vorgaben verlangt werden oder das Publikum zu entscheiden hat, wie sich die Geschichte weiter entwickeln soll.
Welche Formen des Improv gibt es?
Traditionell wird beim Improv zwischen der sogenannten Short Form und der Long Form unterschieden. Die Short Form ist durch fünf- bis zehnminütige temporeiche Szenen (oder Spiele) gekennzeichnet, welche in keinem Zusammenhang miteinander stehen und bei denen der Humor im Vordergrund steht. Um den Humoraspekt noch zu forcieren, sind die Spiele durch bestimmte Regeln gekennzeichnet. Hierzu zwei kurze Beispiele:
Spiel “Genre Replay” – es wird auf Basis der Publikumsvorgabe eine normale Szene gespielt. Danach werden vom Publikum verschiedene Filmgenres abgefragt und die Szene wird beispielsweise erneut als Film Noir, Peking Oper, Thriller, Bollywood, etc. Version erneut gespielt. Spiel “Language Switch” – es wird eine normale Szene gespielt. Beim Erklingen eines Signaltons müssen die Schauspieler die Szene in einer anderen Sprache weiterführen. Dabei ist unerheblich, ob die Schauspieler diese Sprache beherrschen oder nicht. Bei erneutem Signalton wird wieder in eine andere Sprache gewechselt.
Neben diesen Spielformen gibt es noch eine Vielzahl weiterer Formen. Wie aus den Regeln bereits erahnt werden kann sind Lacher auf Seiten des Publikums das Ziel. Bei der Long Form wird eine zusammenhängende Geschichte gespielt, welche meist 1-2 Stunden andauert. Humor spielt hierbei auch eine Rolle, ist jedoch nicht so zwingend vertreten wie bei der Short Form.
Improvisationstheater in Peking
Der Beginn der Improv-Bewegung in China liegt im Jahr 2005 in Peking. Zuerst von einer Gruppe von Expats initiiert, hat sich Improv in den vergangenen 10 Jahren mittlerweile zu einer festen Instanz im Kulturleben der Hauptstadt entwickelt. Beijing Improv bietet wöchentliche kostenlose bilinguale Workshops an, die mit schwankenden Teilnehmerzahlen von über 40 Personen immer überlaufen sind und sich extremer Beliebtheit sowohl bei Chinesen als auch bei Ausländern erfreuen. Unter dem Beijing Improv Label finden regelmäßig Aufführungen der englischsprachigen, bilingualen und chinesischsprachigen Gruppen statt. Daneben haben sich über die Jahre noch weitere Gruppen entwickelt, die nicht direkt mit Beijing Improv assoziiert sind. Mittlerweile kann die Anzahl aller Gruppen auf mehr als zehn geschätzt werden, wobei regelmäßig neue entstehen und alte aufgelöst werden.
Durch den großen Pool an Aktiven lässt sich feststellen, dass in Peking in den letzten Jahren die anspruchsvollere Long Form immer öfter gespielt wird. Als Improv-Zentrum Chinas richtet Beijing Improv darüber hinaus regelmäßig das Beijing Improv Theater Festival aus, das Gruppen aus aller Welt zu seinen Teilnehmern zählen kann. Ausrichtungsort ist dabei meist das Penghao Theater 蓬蒿剧场 in der Nähe der Nan Luogu Xiang 南锣鼓巷. Ausgehend von Peking ist Improv mittlerweile auch in andere Städte geschwappt und Städte wie Shanghai, Hong Kong, Taibei, Xiamen, Changsha verfügen mittlerweile über eine aktive lokale Szene.
Die ersten Improv Workshops in Changsha fanden im November 2012 unter meiner Initiative statt. In den ersten Monaten hatte ich dabei Kooperationen mit den vor Ort überaus populären English Corners entwickelt um sie als Plattform für bilinguale Workshops zu nutzen. Da Improv jedoch eine hohe Sprachkompetenz in der verwendeten Sprache voraussetzt, ging ich zügig zu Workshops über, die rein auf Chinesisch durchgeführt wurden. Dies ermöglichte es mir, mich auf die Vermittlung der Grundlagen und Techniken von Improv zu fokussieren. Nach einigen Kooperationen mit lokalen Theatergruppen biete ich mittlerweile eigenständig wöchentliche Workshops an, die meist eine Gruppe von 15-20 Personen anzieht.
Neben diesen Workshops ist es auch mein Ziel, regelmäßig Aufführungen zu organisieren. Sei es in Kooperation mit anderen Theatergruppen, im Rahmen von Street-Performances oder in Eigenregie auf kleineren Bühnen. Im Vergleich zu Peking ist Improv in Changsha noch relativ unbekannt. Schauspielstudenten ist es meist nur als Aufwärm-Übung bekannt und dementsprechend haben lokale Bühnen meist Zweifel ob sich Improv als eigene Kunstform etablieren kann. Nichtsdestotrotz sehe ich eine wachsende Popularität von Improv in Changsha und glaube, dass es sich langfristig als Nische im Kulturleben der Stadt fest etablieren wird.
Improv in China – Umsetzungsweise und Schwierigkeiten
Um die Antwort vorwegzunehmen, auf Basis des Erfolgs von Improv in Peking und Changsha bin ich fest überzeugt, dass chinesischer Humor und Improv kompatibel sind. Da es sich jedoch bei Improv um eine für China neue Kunstform handelt, gibt es einige Aspekte, die zu Startschwierigkeiten beim Aufbau einer neuen Improv-Gruppe führen können.
Das Gesicht wahren
Improv verlangt von den Darstellern, extrem schnell in jede mögliche Rolle schlüpfen zu können. Man darf dabei nicht anfangen zu hinterfragen, ob die Rolle eventuell peinlich ist oder was das Publikum über einen denkt. Tut man dies doch, so kann die Szene schnell ins Stocken geraten. Lehnt der Schauspieler auch noch eine bestimmte Rolle während Spielens ab, so ist die Szene oft zum Scheitern verurteilt.
In der chinesischen Kultur ist die Wahrung des Gesichts ein extrem wichtiges Element. Gerade neue Teilnehmer haben oft Schwierigkeiten, zwischen der darzustellenden Rolle und der eigenen Person zu unterscheiden. Gelächter von Zuschauern wird meist so interpretiert, dass über einen selbst gelacht wird und nicht über die Rolle. Dies hat als Reaktion weniger eine totale Blockade der Darsteller zur Folge als ein Heraustreten aus der Rolle, ein Kommentar aus der persönlichen Perspektive, und die Rückkehr in die Rolle. Hierdurch will der Darsteller dem Publikum verdeutlichen, dass er nur eine Rolle spielt.
Beispiel
Schauspieler A: “Schatz, es tut mir leid dich betrogen zu haben.” Schauspielerin B tritt aus der Rolle heraus und sagt: ”Oh ist das peinlich. Jetzt muss ich aggressiv werden, das verlangt die Rolle von mir.” Schauspielerin B kehrt in die Role zurück und sagt: ”Du Schwein. Nimm diese Backpfeife.”Im Mittelpunkt stehen
Um eine Geschichte voranzutreiben ist es oft nötig, dass ein Schauspieler eine Szene verlässt, also in den Hintergrund tritt, und die anderen Rollen die Geschichte weiterentwickeln lässt. In China ergibt sich oftmals das Problem, dass niemand die Szene verlassen möchte und dadurch immer mehr Schauspieler auf der Bühne stehen, was eigentlich immer zu einem Tohuwabohu und Konflikten führt, da jeder die Geschichte gemäß seiner eigenen Vorstellungen weiterführen will.
Beispiel
A: “Chef, ich geh nach unten und bereit den Konferenzraum vor.” Chef: “Ok, geh schon, ich muss eh noch kurz etwas mit meiner Sekretärin besprechen.” A: “Ok, ich gehe.” …. A bleibt stehen …. A: “Ich gehe jetzt wirklich.” …. A: “Ich bin bei der Tür. Ich gehe jetzt.” …. A zurück zum Chef …. A: “Chef, eine Sache noch….”„Schwerer Geschmack“
Ein oft auftretendes Problem ist der “schwere Geschmack” (重口味, meint Verwendung von Themen deren Darstellung auf der Bühne gegen den guten Geschmack verstößt, z.B. Fäkalhumor, Sexualhumor etc.) von vorrangig männlichen Teilnehmern. Ergebnis sind oftmals Szenen, die sich relativ schnell steigern und immer “schmutziger” werden, bis am Ende jeglicher jiecao 节操 (etwa: moralischer Standard) verschwunden ist. Hierbei hilft nur kontinuierliches Ermahnen und Hinweise darauf, dass die Grenzen des guten Geschmacks doch bitte eingehalten werden möchten.
Fazit und Links
Die Improv-Szene in China wächst immer schneller und erfreut sich großer Beliebtheit bei Locals und Expats. Wenn Sie selbst mal ausprobieren wollen, wie es ist auf Chinesisch oder Englisch zu improvisieren, so suchen Sie im Internet einfach nach 即兴表演 + Stadtname. Nachfolgend noch eine Liste von lokalen Gruppen, die regelmäßige Performances und/oder Workshops anbieten:
Beijing | http://www.beijingimprov.org/ | Chinesisch, Englisch |
http://www.impropekin.com/ | Französisch | |
Shanghai | http://improvshanghai.com/ | Englisch |
http://www.zmack.net/ | Englisch | |
Hong Kong | http://www.peoplesliberationimprov.com/ | Englisch |
Taipeh | http://www.gutsimprov.com/ | Chinesisch |
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